Wie die Aufmerksamkeit am Rand des Sichtfeldes funktioniert

Vielen Menschen ist gar nicht bewusst, dass sie nur in einem kleinen Teil ihres Blickfeldes scharf sehen. Die CITEC-Wissenschaftlerin Dr. Katharina Weiß erforscht, wie Menschen auch Gegenstände am Rande ihres Sichtfeldes wahrnehmen – und wie dabei die Aufmerksamkeit gesteuert wird.

Die CITEC-Wissenschaftlerin Dr. Katharina Weiß erforscht, wie Menschen Dinge am Rande ihres Gesichtsfeldes wahrnehmen. Dabei befasst sie sich damit, wie die Aufmerksamkeit in diesem Moment funktioniert. Foto: CITEC/Universität Bielefeld Wie sehen wir eigentlich die Dinge, die nicht im Zentrum unseres Blickfeldes sind? Und wie verlagern wir die räumliche Aufmerksamkeit an den äußersten Rand unseres Sichtfeldes? „Es gibt nur einen kleinen Bereich, in dem wir tatsächlich scharf sehen“, sagt Dr. Katharina Weiß vom Exzellenzcluster CITEC. Die Psychologin ist seit April Mitglied des Vorstands der wissenschaftlichen Einrichtung CITEC der Universität Bielefeld.

Der Bereich im Auge, in dem Menschen am schärfsten sehen, heißt Fovea. Er liegt im Zentrum des sogenannten Gelben Flecks im Auge. Wenn Menschen ein Objekt ansehen, bewegen sie ihren Körper, ihren Kopf und ihre Augen so, dass die Lichtstrahlen in diesen Bereich fallen. Dadurch können sie das jeweilige Objekt scharf sehen. Gegenstände außerhalb dieses scharfen Bereichs des Sichtfelds nimmt man vorbewusst nur grob und verschwommen wahr – es sei denn, dort geschieht etwas Interessantes, das die Aufmerksamkeit auf sich zieht. Dies verbessert dann die Informationsverarbeitung an diesem Ort.

Vielen Menschen ist gar nicht bewusst, dass sie nicht alles scharf sehen

Weil das Gehirn die Eindrücke gut integriert, ist den meisten Menschen gar nicht bewusst, dass sie vieles gar nicht gestochen scharf sehen, sondern eher verschwommen. „Außerhalb der Fovea bis hin zum äußersten Rand des Sichtfeldes nimmt das scharfe Sehen sehr schnell ab“, sagt die promovierte Psychologin. „Bei einem Winkel von etwa 20 Grad entspricht die Sehschärfe beispielsweise nur noch etwa einem Zehntel der Sehschärfe in der Fovea.“

Weiß erforscht gemeinsam mit Professor Dr. Werner Schneider, inwiefern Menschen trotzdem in der Lage dazu sind, Dinge auch noch am äußersten Rande ihres Gesichtsfelds zu beachten, wenn dort etwas geschieht, das sie interessiert – und zwar, während ihr Blick weiter auf ein anderes Objekt fokussiert ist. Ihr Projekt „Visuelle Aufmerksamkeit und Prädiktion in der fernen Peripherie“ wird von der Deutschen Forschungsgesellschaft über drei Jahre gefördert. Es läuft noch bis August 2019.

„Wir sind unter günstigen Bedingungen gut dazu in der Lage, etwas aus dem Augenwinkel zu erkennen“, sagt Weiß. Das gilt zum Beispiel für einen einzelnen Buchstaben am Rand des Sichtfelds. Dies funktioniert aber vor allem dann gut, wenn dort nur ein einzelner Buchstabe ist. „Stehen dort mehrere Buchstaben, dann haben wir Schwierigkeiten, einen einzelnen zu erkennen.“ Auch Veränderungen nehmen die meisten Menschen gut wahr, wenn also zum Beispiel plötzlich ein einzelner Buchstabe aufleuchtet oder etwas Neues im Blickfeld erscheint.

Weiß beschäftigt sich damit, wie die Aufmerksamkeit gesteuert wird

Die Versuchspersonen blicken geradeaus, während etwas am Rande ihres Gesichtsfelds passiert. Foto: CITEC/Universität Bielefeld Zugleich befasst sich Weiß damit, wie die Aufmerksamkeit in diesem Moment gesteuert wird, wenn die Augen weiter fokussiert werden und nicht zu dem Punkt in der Peripherie wandern, der interessiert. „Eine typische Situation dafür ist es zum Beispiel, wenn man jemanden auf einer Konferenz trifft und sich nicht an den Namen erinnern kann“, sagt sie. „Dann versucht man quasi aus dem Augenwinkel, den Namen am Revers zu lesen, während man der anderen Person aber ins Gesicht blickt.“ Im Labor fixieren die Probanden deshalb beispielsweise ein Kreuz oder einen Punkt, während zwischenzeitlich ein Symbol am äußersten Rande ihres Blickfelds eingeblendet wird.

Um auch Objekte am äußersten Rand des Sichtfelds zeigen zu können, der sogenannten fernen Peripherie, sitzen die Probanden im Labor vor einer großen Leinwand statt vor einem viel kleineren Computerbildschirm. Weiß konnte zeigen, dass sich die positiven Effekte von Aufmerksamkeit auf die Informationsverarbeitung auch am äußersten Rand des Blickfeldes zeigen. Dies ist besonders interessant, da dieser Bereich durch Augenbewegungen nicht mehr erreicht werden kann und die enge Kopplung von Aufmerksamkeit und Augenbewegungen vermuteten lassen könnte, dass man in diesem Bereich keine positiven Aufmerksamkeitseffekte mehr findet.

Die Psychologin betreibt dabei Grundlagenforschung. Mögliche Anwendungsgebiete für die Ergebnisse gibt es aber einige. „Ich denke dabei vor allem an smarte Technologien“, sagt Weiß. Wenn man genau weiß, wie die Aufmerksamkeit am äußersten Rande des Blickfeldes gesteuert wird, könnte es beispielsweise einfacher werden, alten Menschen dabei zu helfen, in ihrer Wohnung zurechtzukommen. 

Kontakt:
Dr. Katharina Weiß, Universität Bielefeld
Exzellenzcluster CITEC / Forschungsgruppe „Neurokognitive Psychologie“
Telefon: 0521 106-4504
E-Mail: katharina.weiß@uni-bielefeld.de

Autorin des Artikels: Maria Berentzen